Sachlich kann knallhart sein

Diese Woche überraschte Gesundheitsminister Jens Spahn damit, dass er einen  Pfleger, der ihn auf Social-Media-Plattformen angegriffen hatte, als Experten mit zur Bundespressekonferenz brachte.
Und siehe da: Der Mann redete kohärent, klar und kompetent. In der Kurzform der Nachrichten hat Spahn mit der Einladung von Pfleger Ricardo Lange einen echten PR-Coup gelandet. Hört man sich aber ungekürzt an, was er auf Fragen von Tilo Jung zu sagen hatte, geht der Schuss  deutlich nach hinten los. Der Pfleger glänzt da kräftig, Minister Spahn nicht.

Nachgerechnet: Zahlen machen komatös

Seit ich vor rund 30 Jahren angefangen habe, in einer Redaktion zu arbeiten, komme ich täglich in den Genuss von „PR“. Das ist kurz für „Public Relation“ und fasst unter anderem die Info-Kommunikation zwischen Firmen oder Behörden einerseits und Medien oder Öffentlichkeit andererseits zusammen. Aus unerfindlichen Gründen ist PR eine Nische der Medienberufe, in der mitunter deutlich üppigere Gehälter zu holen sind als in der redaktionell arbeitenden Zunft.

Was infofern manchmal frustrierend ist, als dass die Produktionen der PR oft deutlich weniger Sachkenntnis erfordern als – sagen wir mal beispielsweise – eine Mathe-Klassenarbeit in der siebten Klasse.

Heute erfahre ich z.B. per PR-Aussendung, dass 41% aller Deutschen ihre „Sex-Toys“ mit in den Urlaub nehmen. Wahnsinn!

Und Super-PR, weil die Pressemitteilung lauter „Buzzwords“ enthält, die einer reflexhaften Weiterverbreitung förderlich sind. Genau: „Urlaub“, zum Beispiel. Aber Sex und Urlaub, das ist wie eine Steilvorlage für die etwas dooferen Medien. Wetten, in den nächsten Tagen hört oder liest man diesen Krampf irgendwo?

Denn dass es frei erfundener Krampf ist, erkennt man spätestens dann, wenn man sich ansieht, wie es zu der Zahl von 41% kommt. Denn das ist ganz einfach: weil Urlauber aus den besonders bevölkerungsreichen Bundesländern mit schierer Masse dafür sorgen!

„Drei Bundesländer stechen mit der Passion für Sexspielzeug in der Reisezeit besonders hervor: In Nordrhein-Westfalen landen sie bei ganzen 21 Prozent der Befragten im Koffer, dicht gefolgt von Bayern, die mit 19 Prozent dabei sind und Baden-Württemberg mit 15 Prozent.“

So, liebe PR-Mathe-Asse: Wie kommt man dann am Ende auf insgesamt 41%, wenn die Spitzenreiter nur bei höchstens 21% liegen? Hebt da am Ende Bremen noch was? So im 470%-Bereich? Nehmen die dann ganze Koffer voller Dildos mit?

Quatsch, natürlich nicht, ist doch ganz einfach! Mit dem ZaMaKo-Effekt der PR: „Zahlen machen komatös“, das weiß man doch, deshalb kann man die langweiligen Dinger einfach im Zufallsverfahren in Texte fallen lassen. Liest ja eh keiner!

Und wenn doch mal so ein Klugscheißer nachzählt, sieht man ja auch, dass die Favoriten wie versprochen über 41% liegen: 21 + 19 + 15 = 55. Also mehr als 41. Geht doch.

Huch! Ich glaube, jetzt muss ich echt aufpassen. Hab ich mich da gerade als Seniour Account Manager qualifiziert?

 

Seufz: Die Post ist da

Heute früh, in meinem Email-Postfach:
 
„Sehr geehrter Herr Patalong,
seit Juni 2016 kann man sich bei der XXXXXXXX AG deutschlandweit zur Fachkraft für Lagerlogistik weiterqualifizieren.
Die Fakten dazu finden Sie hier als druckfähige Datei. Möchten Sie weitergehende Informationen, dann klicken Sie auf XXXXXXX oder rufen Sie einfach an.
Im Fall einer Veröffentlichung freuen wir uns über Belegexemplare, gern auch als PDF.
 
Mit freundlichen Grüßen
Frau PXXXX
Marketing & Organisation“
 
Das ist professionelle PR.
Komplett unzielgerichtet, völlig erratisch und absolut nutzlos.
Selbst wenn das Thema irgendetwas mit mir und meiner Arbeit zu tun hätte, wo sollte ich das veröffentlichen? Bei SPIEGEL ONLINE?
Ein guter Plan! Schlagzeile:
„XXXXXX bildet Lagerpacker aus!“
Vielleicht sollte sich auch Frau PXXXX da mal weiterqualifizieren. Vielleicht packt sie das besser als PR.
 
P:S: Ich habe absolut nichts gegen Lagerarbeiter.

Rrrrrrrrrrrssssssssssssssss….

Total cool, endlich erforscht das mal einer:

„Sehr geehrte Redaktion,

mit unserem heutigen Pressetext möchten wir Sie über die Ergebnisse unserer aktuellen Studie zum Thema „Staubsaugen im Visier: Österreicher mögen es staubfrei“ informieren:

Österreichs Online Markt- und Meinungsforschungsinstitut Marketagent.com lüftet Geheimnisse rund um die Hausarbeit Staubsaugen. 1.035 Personen zwischen 18 und 69 Jahren wurden zu ihrem Staubsaugverhalten, als auch rund um ihre Einstellung und Wahrnehmung der bekanntesten Staubsaugermarken befragt. Ergebnis: Jeder achte Befragte staubsaugt einmal in der Woche oder öfter zuhause. Am häufigsten wird dazu der Bodenstaubsauger verwendet.“

Ehrlich?
1.035 Österreicher waren bereit, sich über ihren Saugerythmus befragen zu lassen?
Und nicht nur das: Auch über die besten Sauger-Marken (hier aus offensichtlichen Gründen weggelassen)?
Wow.

Wer sich fragt, wie man zu solchen Studien kommt, sehe sich auf der Unternehmenswebseite um: Hinter solchen Befragungen stehen natürlich zahlende Auftraggeber.  Als Befragter verdient man hingegen Geld damit. Zitat: “ An Online Umfragen teilnehmen – Mit jeder Umfrage online Geld verdienen“.

Im Klartext: Die „Studie“ basiert auf 1035 bezahlten Antworten.

Um so bitterer, dass so ein Müll trotzdem regelmäßig in Medien landet. Ein Wunder ist es aber leider nicht: Wir Redakteure bekommen so etwas als kostenlosen Inhalt angeboten, und wenn wir nachfragen, gibt es meist noch eine schicke Infografik dazu. Ein wachsende Zahl kleinerer Medien – Online wie Print – bekommt ihren redaktionellen Teil nur noch mit immer größerer Mühe produziert – mangelnde Zahlungsbereitschaft, miese Werbeumsätze und (bei Onlinemedien) dann noch Adblocker obendrauf entziehen ihnen die finanzielle Basis. Kein Wunder, dass sie PR-Mist allzu oft Eins-zu-Eins bringen, ohne Rückfrage, ohne Blick darauf, wo der Müll herkommt.

Wetten, dass wir sowas immer häufiger sehen werden?