Die Letztbeschlafung des Reichshof

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Der Speisesaal des Reichshof wurde dem Ballsaal eines Kreuzfahrtschiffes nachempfunden. Bild-Copyright: Wikiuka, CC

1995 stieg ich erstmals im Hamburger Reichshof ab. Zwischen 2001 und 2011, als ich viel zwischen HH und Köln pendelte, war das dann ziemlich häufig. Manche Kollegen in unserer Reisestelle fanden das lustig: Häufiger war es, dass Leute es ablehnten, dort untergebracht zu werden, weil das Haus den Ruf hatte, dass dort „der Lack ab“ sei.

Stimmte ja auch: Die Teppiche waren ausgetreten, die Wannen oft verkratzt und stumpf, alles wirkte ein bisschen verlebt. Kein Wunder aber auch, Haus und Innenausstattung hatten am Ende 104 Jahre auf dem Buckel, ohne dass sich da viel verändert hatte. Ohne jede Übertreibung: Der Reichshof ist ein Hotel, wo man Sherlock-Holmes-Krimis oder Steampunk-Phantasien verfilmen könnte, ohne viel umbauen zu müssen.

Für mich war das zum einen immer wie eine kleine Zeitreise an den Anfang des 20. Jahrhunderts, zum anderen ein Stück „eigenes“ Schlafzimmer in Hamburg. Bei allen Macken war mir das Haus eben total vertraut. Zu allem Überfluss war das Haus auch noch preiswert.

Am 18. Mai verabschiedet sich dort der letzte Übernachtungsgast, Ende des Monats wird das Haus dann geschlossen. Am 8. Mai war ich zum letzten Mal Gast dort. Ich habe diesem uralten Hotel einen Abschiedsartikel geschrieben, und Almut von Pusch hat dazu tolle Fotos eines Hotels gemacht, das man gut mit „Pracht im Niedergang“ beschreiben kann.

Die Überschrift, die ich selbst für den Artikel gewählt hatte, war „Die Letztbeschlafung des Reichshof“. Und mein Einstieg ging ursprünglich so: „Ende Mai schließt der Hamburger Reichshof, vor 104 Jahren Deutschlands größtes Hotel, heute angejahrtes Zeugnis längst vergangener Zeiten. Ob und wie es mit dem spektakulären Baudenkmal weitergeht, ist ungewiss. Wir nahmen Abschied – und gingen noch einmal auf Zeitreise.“

Das war dann wohl einerseits zu kryptisch, andererseits zu emotional: Die bei SPON am Freitag erschienene Version ist leicht gekürzt und versachlicht. „Kill your darlings“ sagt man im Journalismus ja, aber in diesem Fall hatte ich wohl eher ein anderes Problem: Da killt jemand anderes einen meinen Darlings. Es gibt modernere, schickere Hotels in Hamburg. Aber die sind eben nicht MEIN Hotel.

Vor rund acht Jahren fragte mich dort ein Portier beim Einchecken, ob es mir bewusst sei, dass ich dort meine 100. Nacht verbringen würde. So etwas wird in meinem Leben in keinem anderen Hotel mehr vorkommen. Hoffe ich zumindest, denn für Businessreisende sind Hotels in der Regel die einsamsten Orte der Welt. Es ist selten, dass man dort auch emotional ein Stückchen ankert.

Hier geht es zum Artikel bei SPON.

Hier kann man sich Almuts Bilder vom Reichshof ansehen.