Post von wirr rechts: Warnung vor der Baerbock!

Zu den amüsanten Seiten des Redakteurslebens gehören die ganzen Irren, Schwurbler und verirrten Seelen, die einen täglich mit Leserbriefen eindecken. „Täglich“ meine ich hier wörtlich: Ich hatte mal einen an der Hacke, der mir an manchen Tagen nicht einen, sondern ein Dutzend Emails schickte, und das über Jahre. Alles rechtsextremes, komplett hirnfreies Zeug aus dubiosen Quellen. Wenn der mal nicht schrieb, wurde ich nach ein paar Tagen nervös: Der Herr U. wird doch nicht krank sein?

War er wohl mitunter: eingewiesen.

Irgendwann ging ich hin und recherchierte ihm hinterher, weil mir das alles zu krass wurde. Nach kurzer Zeit hatte ich ihn identifiziert: Er war damals 64, seit Jahrzehnten arbeitslos und wohnte im Dachgeschoss des Hauses seiner greisen Mutter in einer sehr, sehr kleinbürgerlichen Vorstadt. Ärger wich Mitleid: der Mann brauchte kein Outing, sondern Hilfe, wenn auch nicht meine. Ich setzte einen Spam-Filter für seine Mails und ließ ihn weiterschreiben. Irgendwann verstummte er.

Aktuell schreibt mir gern Herr P., der Telegram und Achgut für seriöse Nachrichtenquellen hält und gern prominenten Zeitgenossen frei erfundene Zitate unterschiebt: Futter für Schwachsinns-Postings bei Facebook, Twitter und Co..

Auch P. ist stets bestens informiert über all die Nachrichten, von denen kaum ein geistig gesunder Mensch etwas mitbekommt. Was natürlich Resultat einer Verschwörung der Lügenpresse ist, an der auch ich mieser, ferngesteuerter Schreiberling beteiligt bin.

Wie verzweifelt manche in diesem rechtslastigen Lager gerade sind, zeigen seine letzten Mails. Heute warnte er mich (und die Hälfte aller Redakteure im Land) vor Annalena Baerbock. Das ist erst einmal nicht verwunderlich, der Grund für die Warnung hingegen schon:

„Viele Wähler sind sich nicht der Folgen bewußt, wenn Frau Annalena Baerbock Bundeskanzlerin werden würde. Sie würde voraussichtlich die rechtswidrige Politik der Angela Merkel fortsetzen.“

Ist das nun perfide oder was?

Herr P., wie ist denn das gemeint? Soll das Wahlhilfe für Baerbock sein? Wenn sich das rumspricht, hat Laschet ja keine Chance mehr!

Und wenn zudem bekannt wird, dass jetzt schon NPD-Sympathisanten Wahlwerbung für die Grünen machen, könnte das sogar die AfD Stimmen kosten.

Ich muss zugeben: ich bin verwirrt. Aber das wussten Sie ja schon.

Facebooks KB: bescheuerter geht’s kaum

Habe gerade bei Facebook Werbung für eine Art Taschen-Todschläger serviert bekommen. Das Ding besteht aus einer Art Griff mit Schlagdorn, aus dessen Inneren man ein Stahlseil schnellen lassen kann, mit dem man z.B. Melonen mühelos köpft. Dürfte auch prächtig funktionieren, Köpfe zu beschädigen.

Hab die Werbung sofort gemeldet, Begründung „Gewalt“, mehr oder etwas anderes ist nicht möglich. Facebook stellt mir immerhin frei, den Werbetreibenden in meinem Profil zu blockieren (hab ich sofort gemacht). Und natürlich, meine Werbeeinstellungen zu ändern.

Da lerne ich jetzt, dass ich drei große, wichtige Themen sechs Monate, ein Jahr oder sogar dauerhaft verbergen kann, damit ich nie mehr damit belästigt werde: Alkohol, Kindererziehung und Haustiere.

Ernsthaft, das war’s. Waffenwerbung, AfD-Propaganda und sonstiger Müll sind keine Kategorien. Aber Kindererziehung, vor der kann man sich schützen. Super, Facebook.

Besonders lustig ist dann noch „Warum sehe ich diese Werbung?“. Die Antwort: weil ich gegenüber Facebook die Hose nicht runtergelassen habe. Unbehelligt von diesem Scheiss bleibe ich offenbar nur, wenn ich denen sage, wofür ich mich interessiere, wie meine „Präferenzen“ aussehen etc..
Liebes Facebook: find’s doch selbst raus.

Ansonsten schlage ich vor, die KI dieser Trash-Plattform in KB umzubenennen. B wie Blödheit.

P.S.: Ich werde meine Präferenzen jetzt doch ändern und Facebook mitteilen, wofür ich mich interessiere: Treckerfahren, Sandbilder, Emojis häkeln, tibetanische Glockenspiele, Blumen färben und Kühe anmalen. Mal gucken, wer da wirbt.

P.P.S.: Welche Präferenzen muss ich denn bestätigen, um Waffenwerbung zu bekommen? Rechtsradikalismus? Idiotie? Asoziales Verhalten?

 

Perspektiven: Schreiben über Terror

Heute habe ich bei SPON einen Artikel veröffentlicht, dessen Herzstück eine Art Stammbaum der IRA ist. Mich nervt seit Jahren, dass in den deutschen Medien immer über „die IRA“ berichtet wird, auch wenn genauere Informationen vorliegen. Die Komplexität der Verhältnisse dort führt dazu, dass wir aus dem Abstand heraus meist viel zu stark simplifizieren. Ich selbst neige nicht dazu, kann es aber auch kaum verhindern.

Im extremsten Fall habe ich einmal erlebt, dass in einem meiner Artikel alle präzisen Angaben (Continuity IRA, Real IRA etc.) im Rahmen der Korrektur zu „IRA“ geändert wurden. Ich habe das leider erst im nachhinein gesehen. Der Artikel war damit natürlich Schrott: Wo vorher über drei Organisationen berichtet wurde, stand jetzt nur noch eine – und zwar eine, die es als Entität so gar nicht gibt. Seit damals trieb mich der Gedanke um, in der Hinsicht mal was Grundsätzliches aufzuschreiben. Hab ich jetzt gemacht und siehe da: das stieß auf jede Menge Interesse.

Und natürlich auf Widerspruch. Vielen gefiel im Forum und in Leserbriefen nicht, dass der Artikel sich „nur“ auf diese vermeintlich katholische Seite stürze und den protestantischen Terror ignoriere. Stimmt, weil es hier ja nur um den „katholischen“ ging.

Vor allem aber sprang bei vielen direkt der Reflex an, die irisch-katholische Seite für gut zu halten, die britisch-protestantische dagegen im Unrecht zu sehen. Manche schrappten nur knapp daran vorbei, die Deportation aller Protestanten nach Schottland zu fordern, andere wollen, dass „England“ Nordirland verlasse. Und die meisten sitzen der uralten Gefahr auf, den vermeintlichen Widerstand der Minderheit zu romantisieren.

Als Privatperson habe auch ich Sympathien und politische Tendenzen, die mich bestimmte Dinge besser bewerten lassen als andere. Man kann übrigens politisch mit der einen oder anderen Seite sympathisieren, ohne Terroristen deshalb für cool zu halten. Sind die nicht, nie, auf keiner Seite.

Wer Leute ermordet, sich von Schutzgelderpressung, Baubetrug, Drogenschmuggel oder Raubüberfällen ernährt; wer Leuten die Kniescheiben zerschießt und sich selbst zur Ordnungsmacht aufschwingt, die via Angst regiert und Andersdenkende terrorisiert, der ist ein Arschloch – die gibt es in linken wie rechten, in katholischen wie protestantischen, in deutschen wie irischen Varianten. Wir sollten uns bemühen, den moralischen Abstand zu solchen Leuten nicht zu verlieren, wenn wir über Politik reden (oder schreiben).

Das gilt besonders für mich als Journalist. Ich versuche, so ein Thema so analytisch und „sachlich“ anzugehen, wie das möglich ist. So eine Perspektive kann nicht davon ausgehen, dass ein Zweck die Mittel heiligt. Sie muss benennen, was ist.

Das schließt Bewertung nicht aus, aber das ist eine andere Ebene. Wenn ich kommentiere, dann mache ich klar, wo ich aus ethisch-moralischer Perspektive Schuld sehe oder Fehlverhalten. Das macht mich aber nicht blind für das Fehlverhalten der „anderen Seite“. Ethik ist wichtig, und manchmal aus sich selbst heraus politisch: Ich halte beispielsweise den Umgang Großbritanniens und der nordirischen Justiz mit dem Thema Bloody Sunday für einen himmelschreienden Skandal (und habe das in meiner Analyse der Nachricht auf SPON auch klargemacht). Mörder ist Mörder, egal ob in Uniform oder nicht. Und Mörder sollten bestraft werden – egal auf welcher Seite sie stehen oder was sie politisch vertreten oder wollen. Dass das offenbar nicht passieren wird, wird die Stimmung in Nordirland nicht verbessern.

Den Toten ist es übrigens komplett egal, ob sie von Terroristen, Soldaten, Polizisten oder Freiheitskämpfern erschossen wurden.

Wir sollten uns darum bemühen, unsere Nicht-Täter-Perspektive nicht zu verlieren. Und die darf nie bestimmt sein von der Frage, was jemand mit einer Aktion will und ob wir das gut finden oder nicht.

Man muss fragen:
Ist es Tat, oder ist es Notwehr?
Ist es gut? Kann man es rechtfertigen?
Oder ist es verwerflich, ist es böse?

Das sind die einzigen Fragen, die von Belang sind, wenn man über Terror und Gewalt schreibt.

Welche Heimat wollen wir?

Auf Drängen der CSU wird das bald von Horst Seehofer geführte Innenministerium sich künftig auch um das Thema Heimat kümmern, wenn es denn zur „GroKo“ kommt. Ein gruseliges Konstrukt.

Heimat ist ein vermeintlich eindeutiger Begriff, der bei jedem eine Vorstellung weckt. Er verweist meist auf den Ort, an dem wir geboren werden, unsere frühe Prägung erfahren und wo wir uns verwurzelt und wohl fühlen.

Außer, wir sind Migranten und quasi am falschen Ort geboren. Dann wird es schwierig mit der Heimat, und das unabhängig davon, was der Betroffene fühlt oder darüber denkt.

Denn der deutsche Heimatbegriff meint – egal, ob das im öffentlichen Diskurs immer ehrlich benannt wird oder nicht –  so gut wie immer auch eine kulturelle Verwurzelung, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Zu Viele denken dann gleich auch eine genetische Herkunft mit: Heimat ist dann da, wo ein Mensch vermeintlich hingehört, weil er von dort „stammt“.

Es geht also nicht nur um Orte, sondern auch um Besitzansprüche. Man kann auch das aber konservativ oder progressiv denken.

  • Konservativ gedacht ist Heimat ein zu bewahrender, zu verteidigender Raum von auf bestimmte Art und Weise geprägter Natur. Verändert sich die, empfinden das Menschen, die so denken, als Heimatverlust. Heimat ist in diesem Sinne also etwas, das so bleiben sollte, wie es vermeintlich immer war. Sie ist „unser“, weil sie schon unseren Altvorderen gehörte.
  • Progressiv gedacht ist Heimat ein Raum, der von Lebensart und gelebter Kultur ständig neu gestaltet und definiert wird. Herkunft ist da nicht die entscheidende Frage, sondern gefühlte, gelebte Zugehörigkeit. Heimat ist in diesem Sinne ein sich verändernder Lebensraum, in dem man Gemeinsamkeiten findet und sich wohlfühlt. Und vor allem: den man gemeinsam mit anderen erst erschließt und schafft.

Weil die Einen das so sehen oder fühlen und die Anderen eben anders, ist der Heimatbegriff stets umstritten. Es ist eine gute Idee, sich auch auf politischer Ebene darum zu kümmern: Die Frage nach unserer Identität entscheidet mit darüber, wie wir dieses Land in Zukunft formen und wie wir miteinander leben werden.

Das hätte spannend sein können. Man hätte sich ein Ministerium „Kultur und Heimat“ vorstellen können, unter dessen Dach der gesellschaftliche Diskurs gepflegt und gefördert worden wäre. Stattdessen findet Heimat laut Koalitionsvertrag nun ihre Heimat unter dem Dach des Innenministeriums. Wohl, um der AfD ein Thema zu nehmen.

Was für ein Zeichen!

Es macht Heimat zum Schutzgut unter der Obhut von Polizei, Staatsschutz und Geheimdiensten. Wie etwas, das mit den Machtmitteln des Staates verteidigt werden muss.

Gegen wen? Wen schließt diese Heimat ein? Wen schließt sie aus? Und wollen wir eine Heimat, die thematisch im Kontext von Staatsmacht steht? Ist es das, was wir mit Heimat meinen?

Meine ist es nicht.