Nerd-Häppchen: Infoporn oder die Sache mit den Blitzen

Auch der folgende Text ist aus meinem unvollendeten Nerdologie-Guide.
Feedback sehr willkommen!

– – – schnipp – – –

Infoporn, oder: Die Sache mit den Blitzen.
Eine Szene aus dem Leben.

VIER ERWACHSENE SITZEN UM EINEN FESTLICH EINGEDECKTEN ESSTISCH. GITTE UND ROLF HABEN HILDE UND NORBERT, GENANNT NERD, ZUM DINNER EINGELADEN. PLÖTZLICH BLITZT ES, FAST SOFORT FOLGT DUNKEL-DROHEND DER DONNER: BO-BOMMMMMM!!!!

Gitte: Huch! Das hat aber gescheppert! (kichert nervös)

Rolf (halb lachend): Wohooow, ja, da braut sich was zusammen, nech?

Hilde: Da jagt man ja keinen Hund vor die Tür!

Gitte: Also, ich hab Angst vor Gewitter. Gut, dass wir hier drinnen so sicher sind!

Norbert: Naja, ganz so sicher auch nicht. Habt Ihr einen Blitzableiter?

Hilde: Jetzt nicht, Norbert. Gitte, die Soße war wirklich ein Gedicht! Das Rezept hätte ich wirklich gern.

Norbert: Ich sag ja nur. Wusstet Ihr zum Beispiel, dass es rein statistisch jeden Tag rund 20 Millionen Blitze gibt und bis zu zehn Prozent davon in Deutschland einschlagen?

Gitte: Haben wir einen? Rolf, wir haben doch einen Blitzableiter, oder?

Norbert: Das sind zwei Millionen Blitze. Also so ungefähr 23 pro Minute.

Rolf: Keine Ahnung. Wo wäre der denn am Haus, Norbert?

Hilde: Ach, lass das doch jetzt, Du machst die Gitte nur nervös, Rolf. Gitte, die Soße…?

Gitte: Ach ja: Die, die, die hab ich vom Perfekten Dinner. Letzten Donnerstag. War am Ende das Gewitter-Dinner. Äh, die Gewinner-Soße, ma-ma-meine ich.

Hilde: Ahaaaaa! Hab ich das auch gesehen? Sag mal, Norbert, wo waren wir denn am Donnerstag?

Norbert: Das kann jederzeit passieren. Blitze gibt es übrigens auch ohne Gewitter.

Hilde: Jaja, schon gut, aber nicht hier und jetzt. Gitte, ich finde ja wirklich…

Norbert: Die meisten schlagen übrigens im Schwarzwald ein. Viele Tote gibt es heute aber nicht mehr.

Hilde: Dann ist ja gut. Die Soße…

Rolf: Wieso im Schwarzwald?

Hilde: Rolf, hättest Du noch ein Schlückchen Wein für mich?

Norbert: Naja, wie oft es wo genau einschlägt, kann sowohl bodengeologische, aktuell meteorologische als auch regionalklimatische Gründe haben. Wenn Ihr das jetzt vertiefen wollt, kann ich gern etwas ausholen und -…

Hilde: Wollen wir nicht, Nerd! Rolf, ich hätte auch gern noch ein Wässerchen!

Norbert: Wusstet Ihr eigentlich, dass Blitze gar nicht immer von unten nach oben verlaufen?

Rolf: Ach? Nicht?

Norbert: Nene, aber bei denen von oben nach unten willst Du nicht in der Nähe sein. Wenn da was einschlägt…

Hilde (flüstert): Bei Dir schlägt gleich auch was ein…

Gitte: Rolf, holst Du eben? Das Wasser? Und den Wein?

Rolf: Aber nicht im Auto. Im Auto ist man sicher.

Norbert: Ja, meistens. Wenn das Auto groß genug ist. Sonst kann es sich ja verformen.

KURZE STILLE.
ALLE SEHEN NORBERT AN.

Gitte: Wie, verformen? Du willst mir sagen, mein Corsa könnte sich verformen? Wenn ich da drinsitze?

Norbert: Ja, aber doch nur wenn der Blitz einschlägt. Und selbst dann natürlich nicht immer. Kleinwagen explodieren auch mal.

Hilde: Norbert!

Rolf: Erzähl nicht!

Norbert: Doch, aber nur manchmal.

ES BLITZT UND DONNERT: BA-BOMMMMMM!!!
GITTE UND NORBERT SCHREIEN AUF.

Gitte: Herr im Himmel, steh uns bei!

Norbert: Warum trittst Du mich denn jetzt?

Hilde: Sorry, war ein Versehen. Bitte, äh Gitte, nochmal zur Soße…

ENDE DER SZENE

 

Na, haben Sie es bemerkt?

In der gesamten versammelten Runde hatte nur eine Person echte, verwertbare Informationen beizusteuern. Stellen Sie sich mal vor, wie das oben dokumentierte Gespräch verlaufen wäre, wenn Norbert nicht am Tisch gesessen hätte.

Langweilig!

Erst Nerd Norberts beiläufig-locker eingestreute Informations-Häppchen waren die Würze, die dem Tischgespräch, das in Banalitäten über Soßen und Fernsehsendungen abzukippen drohte, echten Inhalt und Neuigkeitswert für die Anwesenden verlieh.

Sie lernten auf beiläufig-unterhaltsame Weise:

  • in Deutschland können im Extremfall bis zu zwei Millionen Blitze am Tag einschlagen
  • das sind bis zu 23 pro Minute
  • die meisten davon trifft der Schwarzwald
  • Blitze, die von oben nach unten verlaufen sind ein Vielfaches gefährlicher als solche, die den umgekehrten Weg nehmen
  • starke Blitze können Kleinwagen verformen, wenn sie einschlagen
  • manche Kleinwagen explodieren dann

Das ist doch schon eine ganze Menge frischer Input, der noch zu lebhaften Gesprächen und Diskussionen führen wird!

Für Rolf und Gitte, die kunstvolle Soßen-Köchin und Blitz-Paranoikerin, haben die Informationen sogar erheblichen praktischen Wert. Sie werden sich ganz unmittelbar im Leben des netten Ehepaares auswirken: Gitte wird ab jetzt den Mercedes fahren und Rolf den verformbaren Corsa.

Man kann also mit einigem Recht behaupten, dass Norbert in wenigen Minuten den Lauf des Lebens seiner Freunde konstruktiv verändert hat. Der soziale Wert solcher Fähigkeiten kann nicht überschätzt werden. Der gesamte Abend hat durch Norberts Einwürfe eine erhebliche Aufwertung erfahren.

Solche Freunde will man doch haben, die lädt man doch immer wieder gern ein!

Man stelle sich nur einmal vor, die gleichen Personen träfen sich nach einem Jahr und erinnerten sich an das Essen. Wird Gitte dann sagen: „Das war doch der Abend, als Du mich fragtest, wo ich das Soßenrezept her hätte, nicht wahr, Hilde?“

Natürlich wird sie das nicht sagen. Sie wird sagen: „Das war doch der Abend, als Nerd uns erzählte, dass jeden Tag zwei Millionen Blitze im Schwarzwald einschlagen, die da Opel Corsas verbiegen, bis die explodieren!“

Was zwar nicht ganz richtig wäre, aber schon einmal ein guter Anfang. Norbert wird das dann gegebenenfalls korrigieren und erklären, bis es sitzt.

So etwas bekommt man natürlich nicht ohne entsprechende Vorbereitung hin. Und wichtig ist dabei ganz offensichtlich, dass man über ein breit gestreutes Faktenwissen verfügt, das sich in sehr kompakter Form als unterhaltsame, informative Häppchen jeweils passend zum Anlass einstreuen lässt.

In der Nerdologie hat diese Art Wissen auch einen Namen: Infoporn.

Wild!

Das Warten hat ein Ende: Stolze sieben Wochen nach Aussaat begann es in meinem Wildblumenbeet zu blühen. Inzwischen ist das ein Farbrausch. Die Fotos hier sind leider bei bedecktem Himmel gemacht, aber man ahnt schon, wie das aussieht. Die örtliche Insektenwelt hat meine sechs Quadratmeter Wildwiese dankbar okkupiert. Und siehe da: jeder findet das hübscher als angelegte Blumenbeete mit farblich abgestimmten Bestand. Geht doch.

 

 

 

 

Natürlich: keine Mittagspause

Hatte gerade Mittagspause. Im Gegensatz zu unseren derzeitigen Mitbewohnern: Einem Amselpärchen, das uns vor ein paar Wochen 5 Eier in ein Nest gelegt hat, das in nur 1,50 Meter Höhe im Efeu hängt, direkt an unserer Terrasse.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das nun außerordentlich dämlich war oder ganz besonders klug. Wir kennen uns ja: SIE ist ein Vogel ohne jede Scheu. Wir können in einem Abstand von knapp einem Meter an ihr vorbeigehen, ohne dass sie scheut. Wenn Fiona im Garten arbeitet, sitzt sie manchmal hinter ihr und wartet darauf, dass bei der Buddelei Würmer abfallen.

Copyright: Frank Patalong

Jetzt ist sie mit ihrer Brut quasi Untermieter, was nur insofern ein Problem ist, als dass dies natürlich auch für Sally, genannt Ming-Ming gilt – unsere Katze. Seit die Jungvögel geschlüpft sind, registriert die das emsige Treiben mit gelangweiltem, aber durchaus vorhandenem Interesse.

Das Resultat? Wir bewachen das Nest. Alle fünf Jungvögel sind geschlüpft und haben sich seitdem gefühlt alle zwei Tage in Sachen Gewicht und Größe verdoppelt. Wir rechnen mit 1,80 bis 2,90 Meter Flügelspannweite, wenn das so weiter geht.

Und Ming-Ming? Wird zur Stubenkatze. Hofgang nur unter Aufsicht und Nachts. Wir gehen davon aus, dass die Vögel sie dann nicht interessieren: Sie ist ein Mauser, kein Vogelmörder.

Wenn man so will, haben sich unsere Amseln also menschliche Bodyguards zugelegt. Hätten sie ihr Nest nicht auf unserer Terrasse, sondern irgendwo im Garten weit über Kopfhöhe installiert, wären sie wahrscheinlich weit gefährdeter gewesen – denn auch die Elstern und Eichelhäher kommen uns Zweibeinern nicht so nah.

Was bedeutet, dass sich die Amseln in aller Ruhe selbst bis zur Erschöpfung ausbeuten können. Ist schon echt spektakulär. Erinnert mich an früher. War ja irgendwie ähnlich.

Copyright: Frank Patalong

Müßiggang: Die Entdeckung der Entdeckung

Wochenende: check.
Unternommen: nichts.
Erlebt: viel.

Zu den lustigen Aspekten unserer Kultur gehört es, dass wir Freizeit mit Flucht verbinden. Wir nennen das sogar so: Flucht aus dem Alltag. Ausbruch. Ausflug. Als ob man nichts wie weg müsste, um sich von dem zu erholen, was man normalerweise tut.

Wir wollen dann: Kontraste erfahren. Die Perspektive wechseln. Neues oder zumindest Anderes sehen, erleben, fühlen, riechen.

Aber das geht auch, indem man sich auf Dinge fokussiert, die man sonst ignoriert. Im Grunde muss man sich dafür kaum bewegen.

Ich habe das am Sonntag mal im eigenen Garten probiert. Hab mich auf den Rasen gelegt, wo er wegen des Schattens unseres Kirschbaums besonders viel Moos hat.

Entdeckte: Hedwigia ciliata. Machte ein Foto, ganz nah ran. Rückte ihr auf den Pelz:

Entdeckte: Der weiche Moorsgrund besteht aus unzähligen mikroskopisch kleinen Pflanzen. Die hier sehen aus wie kleine Säulen, die aus übereinandergestapelten Stern-förmigen Blättern aufgeschichtet sind. Ein undurchdringbar dichter Dschungel, in dem es wimmelt vor Leben.

Fremd ist das. Ich versuchte, konzentriert zu nah an die Dinge heran zu gehen. Man sieht sie dann nicht vollständig. Stattdessen entdeckt man Sachen, die mir so noch nie aufgefallen waren.

Sowas zum Beispiel:

Wenn das Licht nachlässt, glühen Blumen von innen.

Wenn man genau hinsieht, entdeckt man Fliegen, die so tun, als seien sie Hummeln.

Wenn man sich wenig bewegt, spielt die Amsel Model.

Manche Blumen zeigen die belgische Flagge.

Die Florfliege ist im Winter braun und verfärbt sich im Frühling allmählich wieder grün.  So wie Bäume.

Der Gartenchili hat den Winter weniger gut überstanden als erhofft. Aber Kontraste kann er.

Gartendeko-Statuen sind viel interessanter, wenn man sie nur teilweise ansieht.

Wenn man nah genug herangeht, sieht man die eigene Silhouette in den Augen einer Hummel.

Samen weht, wohin er will. Und macht kleine Kunstwerke.

Eine Blume ist dann am seltsamsten, wenn sie sich nicht zeigt.

Und manchmal ist zu wenig Licht genau richtig.

Und so weiter.

Am Ende kam es mir vor, als hätte ich meinen Garten vorher noch nie wirklich gesehen. Das ist erholsam: Freizeit, die nachwirkt. Einfach sehen, riechen, wirken lassen. Mir war das neu. Vielleicht ist das eine Altersfrage.