Raghu oder die Verlässlichkeit der Wikipedia: Text-Bombs

Heute morgen habe ich Infos zu verschiedenen prominenten Nasen recherchiert. Auch für Journalisten ist Wikipedia durchaus ein Anlaufpunkt, wenn auch keine belastbare Quelle: man ist sehr, sehr gut beraten, jede dort gefundene Info auf ihren Ursprung zurückzuverfolgen oder durch weitere Quellen zu verifizieren.

Wozu sie aber prächtig geeignet ist: erste Anlaufpunkte und Verweise hinaus ins Web zu finden. Kaum jemand verlinkt noch Quellen, die Wikipedia tut es konsequent – immerhin.

Seit einiger Zeit fällt mir allerdings auf, dass sich in Wikipedia-Artikeln eingestreuter Nonsense häuft. Die „Text-Bombe“ scheint sich zu einer Art Äquivalent zur Photobomb zu entwickeln. Darunter versteht man Bilder, in denen Dinge zu sehen sind, die da nicht hingehören (insofern als der Fotograf sie nicht ablichten wollte).

Heute Morgen las ich im englischen Artikel über Maria Shriver (Ex-Frau von Arnold Schwarzenegger, Nichte von John F. Kennedy) staunend folgendes:

„A Roman Catholic,[5] she is of mostly Irish and German descent, along with a drop of Romanichal like Elvis and Robert Plant. Raghu wrote the songs and he wants his money.

(…)

Shriver is a fourth cousin of tennis player Pam Shriver.[12] Shriver is also a cousin sister to Caroline Kennedy who sniffed two things in 1973: A) Her own adolescent armpit and B) Cocaine.“

Das dürfte vor allem für untermotivierte Schüler, die sich ihre Hausaufgaben Copy & Paste im Internet zusammenkopieren, eine regelrechte Tretmine sein. Detektivisch gedacht kommen damit also neben Web-Vandalen und pubertierenden Witzbolden durchaus auch Oberstudienräte als Täter infrage.

Wobei das zumindest in Bezug auf den Songschreiber Raghu, der angeblich noch auf sein Geld wartet, nicht wahrscheinlich ist: Der geistert bereits seit dem 21. Juli 2018 durch Shrivers Artikel, wird ab und an „erwischt“ und gekillt, erscheint dann aber kurz darauf erneut. Da macht sich also jemand einen „running joke“.

Damit hat Raghu das Zeug zum Sprichwort, finde ich: „Denk an Raghu!“ sollte man allen Schülern auf Infosuche zurufen. Und sicher auch vielen Akademikern und Journalisten.

Facebooks KB: bescheuerter geht’s kaum

Habe gerade bei Facebook Werbung für eine Art Taschen-Todschläger serviert bekommen. Das Ding besteht aus einer Art Griff mit Schlagdorn, aus dessen Inneren man ein Stahlseil schnellen lassen kann, mit dem man z.B. Melonen mühelos köpft. Dürfte auch prächtig funktionieren, Köpfe zu beschädigen.

Hab die Werbung sofort gemeldet, Begründung „Gewalt“, mehr oder etwas anderes ist nicht möglich. Facebook stellt mir immerhin frei, den Werbetreibenden in meinem Profil zu blockieren (hab ich sofort gemacht). Und natürlich, meine Werbeeinstellungen zu ändern.

Da lerne ich jetzt, dass ich drei große, wichtige Themen sechs Monate, ein Jahr oder sogar dauerhaft verbergen kann, damit ich nie mehr damit belästigt werde: Alkohol, Kindererziehung und Haustiere.

Ernsthaft, das war’s. Waffenwerbung, AfD-Propaganda und sonstiger Müll sind keine Kategorien. Aber Kindererziehung, vor der kann man sich schützen. Super, Facebook.

Besonders lustig ist dann noch „Warum sehe ich diese Werbung?“. Die Antwort: weil ich gegenüber Facebook die Hose nicht runtergelassen habe. Unbehelligt von diesem Scheiss bleibe ich offenbar nur, wenn ich denen sage, wofür ich mich interessiere, wie meine „Präferenzen“ aussehen etc..
Liebes Facebook: find’s doch selbst raus.

Ansonsten schlage ich vor, die KI dieser Trash-Plattform in KB umzubenennen. B wie Blödheit.

P.S.: Ich werde meine Präferenzen jetzt doch ändern und Facebook mitteilen, wofür ich mich interessiere: Treckerfahren, Sandbilder, Emojis häkeln, tibetanische Glockenspiele, Blumen färben und Kühe anmalen. Mal gucken, wer da wirbt.

P.P.S.: Welche Präferenzen muss ich denn bestätigen, um Waffenwerbung zu bekommen? Rechtsradikalismus? Idiotie? Asoziales Verhalten?

 

Online-Publishing: Perlen hinter Pay-Walls

Heute morgen ging eines der aufwändigsten Stücke, die ich in nun bald 20 Jahren für SPIEGEL Online produziert habe, hinter der Paywall von SPIEGEL Plus online. Für mich keine ganz neue Erfahrung, ich habe im letzten Jahr auch viele Artikel für Daily geschrieben, die ja auch „nur“ für Abonnenten sichtbar waren.

Trotzdem sind das merkliche Veränderungen, die für Schreiber wie Leser gewöhnungsbedürftig sind.

Wir Autoren müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, mit unserer Arbeit nicht mehr die ganz große Masse zu erreichen. Beim für jedermann abrufbaren SPON finden manche Artikel sechs-, selten auch einmal siebenstellige Leserzahlen.

Das war lange Zeit sehr befriedigend. Weniger befriedigend war allerdings schon immer, dass auf der großen, kostenlosen Plattform die Agenturmeldung mit 650 Zeichen auf Augenhöhe mit dem Autorenstück konkurriert, in das jede Menge Know-how, Tage von Arbeit mit Recherche- und unter Umständen Reiseaufwand flossen. Wenn man Pech hat gewinnt dann gerade die profane Agentur („Das neunte Mal: Promi XYZ heiratet wieder“) gegen das Relevante, Schöne, Erhellende, das nicht wahrgenommen wird.

Für den Leser war und ist die große Plattform ein Selbstbedienungsladen, in dem Perlen neben Plörren liegen. Beim Klick auf eine Überschrift weiß auch er/sie nicht, ob es nun knappste Agenturware, die man auch anderenorts findet, oder tief ausrecherchiertes Exklusives gibt. Manchmal ist die Überraschung positiv, oft aber auch nicht.

In gewissem Sinne schafft ein Pay-Angebot wie Plus hier klare Verhältnisse: Was bezahlt werden muss, soll auch etwas wert sein.

Das ist ein Ansatz, der Produktenttäuschung vermeiden muss, sonst funktioniert er nicht. Ich weiß, dass Viele das nicht so sehen, aber ich halte es inzwischen für einen Fortschritt. Wie sonst soll man journalistischen Aufwand refinanzieren?

Nehmen wir mein Nordirland-Stück: Ich bin dafür sechs Tage entlang der inneririschen Grenze unterwegs gewesen. Zurück kam ich mit elf Interviews mit einer Gesamtlänge von über sechs Stunden, von denen nur Auszüge aus Vieren in den Artikel einflossen. Sowas muss man sichten, zumindest in Teilen transkribieren, übersetzen. Dann kommt das Schreiben, die Recherche von Background, die Überprüfung von Quellen. Die technische Produktion, das Layout. Insgesamt, schätze ich, sind da gut zehn bis elf Tage eingeflossen.

Das Resultat: Ein Artikel mit Stimmen und Informationen, die man heute definitiv nirgendwo anders wird lesen können – und für die man Tage braucht, um sie zusammenzutragen. Exklusiver Inhalt, dessen Entstehung viel zu aufwändig war, um ihn verschenken zu können. Es würde sich nicht rechnen.

Man muss das Aufkommen von Pay-Modellen im Online-Publishing nicht bejubeln. Leser zahlen nicht gern, und Schreiber haben gern viele Leser. Beide mögen es aber auch, wenn das Produkt – der Artikel, der Hörfunk- oder Videobeitrag – von einer Qualität ist, die befriedigt. Wir alle werden uns wohl mittelfristig daran gewöhnen müssen, dass so etwas immer häufiger einen Preis haben wird.

Es ist eine pragmatische Entscheidung, denn die Alternative dazu ist, dass Aufwändiges erst gar nicht mehr entsteht. Die Perlen im Publishing werden wir künftig hinter Pay-Walls finden.

Happy Friends Day: Hey! Ho! Juchuuuu!

Heute vormittag habe ich bei SPIEGEL ONLINE einen kurzen Artikel über den „Friends-Day“ von Facebook veröffentlicht. Der Text hat am Ende eine Pointe: Er zeigt, dass die tanzende Figur, die Facebook seinen Nutzern serviert, im Grunde dafür gedacht ist, die dazu zu bringen, die Datenbasis über eben diese Nutzer händisch zu verbessern.

Im Klartext:

Der Friends-Day ist ein Data-Mining-Trick, der etwas leisten soll, was Facebook mit Algorithmen allein nicht hinbekommt: Zwischen reinen Facebook-Freunden und echten sozialen Beziehungen zu unterscheiden. Also herauszufinden, wer wem besonders wichtig ist, und wer besonders eng mit wem verbunden ist. Es ist ein Tool, das auf die Privatsphäre der Nutzer zielt und versucht, deren Beziehungen besser zu erfassen.

Ich verglich diesen „Freudentänzer“ mit dem Trojanischen Pferd: Ein Ding, das wie ein Geschenk aussieht, aber zum eigenen Vorteil arbeitet.

Wenige Minuten, nachdem der Artikel veröffentlicht wurde, bewarb ihn unser Social Media Team bei Facebook.  Die Kollegen teaserten: „Hinter Facebooks #Friendsday steckt ein perfider Plan, vermutet Frank Patalong.“

Interessant ist, was folgte. Der Post wurde bisher über 520mal geteilt, vor allem aber über 120mal kommentiert. Und fast ausnahmslos bekam ich Haue: Nicht, weil ich auf den Data-Mining-Trick hingewiesen hatte – das scheint den meisten Leuten weitgehend egal zu sein. Sondern weil ich es gewagt hatte, in dem Artikel einen Unterschied zwischen echten und Facebook-Freundschaften zu behaupten.

Man wirft mir nun vor

  • dass ich mich bei Facebook mit Leuten befreunde, die ich nicht kenne
  • dass ich ja nicht jede Anfrage annehmen muss, wenn ich die Leute nicht kenne
  • dass ich alte Hüte verbreite, weil ja jeder weiß, dass ein Facebook-Freund kein echter Freund sei
  • dass ich angeblich eine schlimme Kindheit hatte
  • dass ich „Vollpfosten“ selbst schuld sei, weil ich zuviele Freunde sammele

…und so weiter.

Am niedlichsten sind die, die mich darauf hinweisen, dass ich „im übrigen auch das Video (vor dem Veröffentlichen) ändern und sich die ‚Freunde‘, die drin erscheinen sollen, aussuchen“ könne.

Ja, genau, darum ging es in dem Text. Darum, dass man, wenn man das tut, Facebook hilft, Persönlichkeitsprofile zu schärfen. Data-Mining. Aber sorry, dafür hätte man den Text natürlich bis zum Ende lesen müssen. Was natürlich viel verlangt ist.

Einige wenige helfen mir dann, trotzdem mein Bild vom mündigen Leser zu bewahren.

Nach dem Lesen von zehn Kommentaren muss ich sagen: Manchmal (…)  tut ihr mir leid, dass ihr euch mit so viel schwachsinnigem Themaverfehlungsgelaber rumärgern müsst. Also, mein ernst gemeintes Beileid dazu. Guter Artikel. Danke.“

Nein, Dank zurück. Von ganzem Herzen.