Ich war acht Jahre alt, als ich anfing, DIE SPINNE zu lesen (so hieß SPIDER-MAN damals). Ich fand die Geschichten gut, weil Peter Parker, dieser dürre Held, ähnlich wie ich Dreikäsehoch auch öfter einmal eins auf die Glocke bekam. Er siegte nicht immer, wie dieser langweilige Superman mit der Lizenz zur Unbesiegbarkeit (wer denkt sich sowas aus?), erlebte zudem ständig auch irgendwelchen Seelenschmerz. Wie im richtigen Leben, wenn man davon absieht, dass der Typ im Gegensatz zu mir (Höhenangst!) Gebäude hoch- und runterlief und – wenn ihm ein Supergangster zu pampig kam – sich auch schon mal damit wehren konnte, dass er dem ein Auto vor den Kopf warf.
In ihrem Ansatz sind Superhelden-Phantasien höchst kindlich, und so sehen die frühesten Stories und viele entsprechende Kinofilme auch aus. Aus Erwachsenensicht ist das intellektuelle Magerkost. Fliegen können, stark wie ein Elefant zu sein, unverletzlich – das ist das, was man sich so wünscht, wenn man das genaue Gegenteil davon ist: Klein, ziemlich wehrlos gegen Starke und dem allmächtigen Willen dieser Typen unterworfen, die einen schon um acht ins Bett schicken, obwohl man noch gar nicht müde ist. Wie gut, wenn man seine Ohnmacht unter der Bettdecke mit der Taschenlampe und dem Comic-Heft sublimieren kann.
Aber Superhelden-Comics sind weit mehr. Nicht von ungefähr arbeiten viele Drehbuchautoren und Regisseure mit gezeichneten Storyboards, um ihre Filmideen zu visualisieren. Comics sind Kopfkino, und mehr noch: Im Comic waren früh Dinge möglich, die auf der Leinwand bis heute nur schlecht darzustellen sind.
Irgendwann wurden mir die Superhelden zu albern, zu pathetisch, aufgeblasen und pompös. Ich landete bei den franko-belgischen Comics: Moebius, Franquin, Herge. Mit Valerian und Veronique ging’s es ab ins All, mit Gaston gegen die schlechte Laune. Anfang der Neunziger wurde Jamiri zu einer Identifikationsfigur, viel später auch ein Freund.
Den Superheldencomic habe ich erst mit Frank Miller wieder entdeckt. Der Mann ist mir unheimlich. Ich kann mir kaum etwas psychopathischeres vorstellen als seine Sin-City-Reihe, vor allem die ersten zwei Bände. Da wird Comic zum Blick in eine kranke Geisteswelt, in der sich die finstersten eigenen Seiten spiegeln: Die Zeichnungen sind ja so Schattenrissartig, dass der wahre Horror letzlich in der eigenen Vorstellungskraft liegt. Mitleiden kann da nur der, der sich das Leid vorstellen kann. Ich finde das so verstörend, dass ich Millers Sin City irgendwann weglegte und nie wieder anfasste.
Man spürt diesen ungesunden Wahnsinn auch in Millers ersten beiden Batman-Comics – die einzigen Comics über den Fledermausmann, die man wirklich gelesen haben sollte.
„Das erste Jahr“ ist der gelungene Versuch, die auf ein kindliches Publikum zielende Batman-Legende erwachsen werden zu lassen. „Die Rückkehr des dunklen Ritters“ ist dann die Demontage, die brutale Entzauberung dieses Idols aus Kindertagen – und kommt dem Kern der Figur viel näher als alles andere, was jemals darüber veröffentlicht wurde.
Für Alan Moores „Watchmen“ schließlich würde ich als Vertreter tingelnd auf die Straße gehen. Das Buch – und es ist ein Schmöker, an dem man mehrere Tage liest! – ist emotional richtig heftiger Stoff, viel düsterer noch als der Film, der später herauskam. Die Geschichte bewegt sich auf mehreren Ebenen, in mehreren Erzählformen (Comic, Briefe, Piratengeschichte), die sich zu einem horrenden Ende zusammenfinden, das den Leser mit einem kalten Klumpen im Magen zurück lässt. Definitiv nichts für Kinder, so konventionell der Comic grafisch zunächst daherkommt! Düster!
Düster ist auch das, was die Verlage in den letzten zwanzig Jahren aus dem Superhelden-Genre gemacht haben. DC wie Marvel, die hier führenden Verlage, verstrickten sich in immer bescheuerteren, verkomplizierten Handlungssträngen, die irgendwann nicht mehr plausibel zu verkaufen waren, ohne gleich ein Paralleluniversum aufzumachen. Die Batman-Reihe hält ein wenig dagegen, mit aufwendigen abgeschlossenen, inhaltlich aber meist überbewerteten Serien (Hush, Long Halloween) und Einzeltiteln (Arkham Asylum, Killing Joke). Auch sie leiden aber daran, dass sie das „Erwachsene“ nur auf der Basis völlig überzogener Brutalität darstellen können. Das ist unter dem Strich armselig, wie im Kino ist auch im Comic eine gute Handlung niemals durch Action zu ersetzen.
Was an den „großen“ Helden stört, ist vor allem ihr dumpfes Pathos. Millers Batman war ein verdammter Schmutzfink, ein von Rache besessener und zerfressener halb Wahnsinniger. Er passte in die End-Achtziger, so wie Hancock, Kick-Ass oder nun Chronicles, grundironische Entzauberungen der Superhelden-Mythen, in unsere Dekade passen. Das ist amüsant, aber als Pointe, Grundmotiv und Masche auch nur begrenzt oft einsetzbar. Am Ende wollen Superhelden-Leser dann doch einen Helden. Und ich meine, wir wollen einen zerrissenen, der uns spiegelt oder inhaltlich herausfordert: So wie der frühe Spidey mit seinen pubertären Problemen, so wie der grimmige, verbitterte Vigilant Batman bei Miller. Der von Miller inspirierte Batman hat in diesem Sommer noch einmal einen cineastischen Auftritt, auf den sich Superhero-Fans nach Batman Begins und Dark Knight wohl freuen dürfen. Wie es danach weiter geht?
Die Verlage starten ihre Serien gerade neu, weil sie eingesehen haben, dass sie in einer Sackgasse gelandet sind. Schaun wir mal: Im günstigsten Fall gewinnen die alten Helden ein paar Schwächen und Macken. Nichts ist langweiliger als ein Superman.