Anne Greene, Tabak-Klistiere und neue, kurze Formen…

Im Rahmen der Recherche zum „Viktorianischen Vibrator“ stolperte ich 2012 über Gerard van Swieten, Leibarzt von Maria Theresia von Österreich. Auf van Swietens Betreiben hatte Theresia 1769 verfügt, dass man zuerst versuchen solle, vermeintlich Tote wiederzubeleben, bevor man diese aufgab. Als Mittel zum Zweck diente das Tabak-Klistier, mit dem man dem vermeintlich oder tatsächlich Verstorbenen heißen Nikotindampf in den Darm blies, auf dass dieser sich regen solle, wenn denn noch Leben in ihm sei. Es war das erste Gesetz der Welt, dass Menschen dazu verpflichtete, Verunglückten oder Sterbenden Hilfe zu leisten – wenn auch aus heutiger Sicht auf ziemlich seltsame Weise.

Die skurrile Praxis fand bald überall in Europa Nachahmer. In mehreren Ländern wurden Kommunen dazu verpflichtet, Lebensrettungs-Gerät an den Ufern von Flüssen bereitzuhalten – auch hier waren natürlich Tabak-Klistiere gemeint.

Ins Buch hat es diese vermeintliche Absurdität leider nicht mehr geschafft, aber ich habe das Thema immer wieder einmal aufgenommen und für mich nach und nach vervollständigt.

Einen Aspekt dieser Geschichte – die Massenhysterie der Taphephobie, der Angst vor dem lebendig Begrabenwerden und die skurillen Mittel dagegen – schrieb ich im April letzten Jahres für Einestages auf.

Auf den Ursprung des Irrglaubens, dass heißer Tabakdampf im Hintern Tote wecken könne, kam ich kurz darauf: Von Anne Greene, der angeblich ersten aktenkundigen Wiederbelebten der Medizingeschichte, hatte ich zwar schon gelesen. Ihre ganze Geschichte erschloss sich mir aber erst, nachdem ich ein digitalisiertes Exemplar eines der zwei Originalberichte über den Fall in die Hände bekam.

Es ist die äußerst zynische Geschichte eines Beinahe-Justizmordes: Eine junge Frau wird erhängt, weil sie nach dem Missbrauch durch einen ihrer adligen Arbeitgeber schwanger wird. Sie aber überlebt die Tortur und gesundet wieder – wohl wegen der Behandlung mit einem Tabak-Klistier, glaubte man 1650 und die folgenden 150 Jahre darauf.

Titelseite eines zeitgenössischen Berichtes über die Exekution der Anne Greene. Copyright: gemeinfrei

Was die Geschichte interessant macht, ist der Zeitkontext und die ungewöhnlichen Nachwirkungen des Falls. Ich habe sie aufgeschrieben, viel zu ausführlich für einen Artikel und viel zu kurz für ein reguläres Buch: 52 Seiten hat das kleine Ding. Ich starte damit einen zweiten Versuchsballon in Sachen Self-Publishing: Eine kurze Form, die „eine Stunde Lesestoff“ bietet. Ich habe sie „Shorts“ genannt.

Als Ebook ist das Ganze für 99 Cent über alle gängigen Ebook-Vertriebskanäle zu haben. Gemeint ist das Format wirklich vornehmlich als Ebook, aber wer will, kann das Ganze auch für 3,49 Euro als gedrucktes Mini-Büchlein haben. Hätte ich gern billiger gemacht, aber hier diktieren die Druckkosten den Preis. Ich bin gespannt, ob so ein Format angenommen wird!

 

Hier die Daten:

Frank Patalong: „Untot – Exekution und Auferstehung der Anne Greene“. ISBN: 978-3748150510. Ebook 1,49, 52-Seiten-Büchlein 3,49 Euro. Überall bestellbar. Den BOD-Shop (portofreie Bestellung, siehe oben) habe ich eingefügt (hier auch nochmal gedruckt, wer das vorzieht). Bei Amazon findet man es hier, bei Thalia hier, bei Buecher.de hinter diesem Link.

Scheintod: Ein bisschen schwanger…

Vier Jahre nach dem Viktorianischen Vibrator gehe ich ein bisschen schwanger mit einer weiteren Idee für eine Kuriosa-Sammlung aus der frühen Phase der Technologisierung/Verwissenschaftlichung der Welt. Der kleine Scheintod-Artikel, den Einestages heute brachte, deutet an, in welche Richtung das gehen könnte.

Antoine Joseph Wiertz: L’inhumation précipitée (1854). Copyright: Gemeinfrei

Keine Ahnung, ob das Leser finden würde. Ich finde diese makabren Sachen urkomisch. Wann kann man schon mal solche Sätze schreiben?

„Belebte man nicht Ertrunkene wieder, indem man sie bäuchlings aufs trabende Pferd gebunden durchschüttelte, bevor man ihren Darm per Klistier mit heilsamen Nikotindampf füllte? Und erwies sich in alldem nicht immer wieder, dass viele Zustände des menschlichen Körpers mit Mitteln der modernen Wissenschaft zu ändern waren?“

Bill Clintons Rede für Martin McGuinness

Wenn man hört, mit welcher humorigen Leichtigkeit es Bill Clinton hier schafft, einen der umstrittensten Menschen der nordirischen Geschichte so angemessen zu würdigen, fällt der Kontrast zur aktuellen Person im Weißen Haus umso schmerzlicher auf. Man stelle sich einen Trump auf so glattem Parkett vor. Dem würden nicht nur die Worte, sondern sogar die Vokabeln fehlen, ganz abgesehen von der Fähigkeit, Sätze mit Nebensätzen zu verbinden. Und inhaltlich würde dabei nichts Versöhnliches herauskommen, sondern im schlimmsten Fall nur der Auslöser für neue Eskalationen.