Antoine Joseph Wiertz: L’inhumation précipitée (1854). Copyright: Gemeinfrei
Keine Ahnung, ob das Leser finden würde. Ich finde diese makabren Sachen urkomisch. Wann kann man schon mal solche Sätze schreiben?
„Belebte man nicht Ertrunkene wieder, indem man sie bäuchlings aufs trabende Pferd gebunden durchschüttelte, bevor man ihren Darm per Klistier mit heilsamen Nikotindampf füllte? Und erwies sich in alldem nicht immer wieder, dass viele Zustände des menschlichen Körpers mit Mitteln der modernen Wissenschaft zu ändern waren?“
Naja, nicht ganz, aber eine Urkunde: Der Journalistenpreis Irland 2016.
Ist mir natürlich eine besondere Freude, weil ich zu Irland eine mehr als „special relationship“ habe: Ich kenne die Insel jetzt seit 37 Jahren, habe mehrere Jahre meines Lebens da verbracht und bin seit 1986 stolz, Teil einer irischen Familie zu sein. Es hat meine Wahrnehmung vieler Dinge, meine Perspektiven und Werte verändert und geprägt.
Am Mittwochabend, 8. März 2017, drückte mir Michael Collins, der Botschafter der Republik Irland, am Rande der ITB die Auszeichnung in die Hand.
Er: „Schöne Urkunde! Gratuliere!“
Ich: „Die werde ich neben meine Auszeichnung als irischer Whiskeytrinker hängen.“
Er: „Ach?“
Lächelte freundlich und wusste nicht recht, was er mit dieser Info anfangen sollte.
Hätte er nachgefragt, hätte ich ihm sagen können, dass ich mir das Whiskey-Zeugnis dereinst mühsam ertrunken habe: Wir landeten kurz vor Mittag in der Destillen-Führung in Bushmills, ein Ire, acht bis neun Italiener und ich. Am Ende kam dann der Aufruf zum Tasting: „Freiwillige vor!“
Der Witz daran?
Schon mal Italiener Whiskey trinken sehen, und das auch noch vor 12 Uhr Mittags?
Der Ire und ich sahen uns an, hoben schüchtern die Hand – und waren die einzigen Freiwilligen. Zwanzig Minuten später hatten wir uns tapfer bewährt, waren beide hackestrack und verbrachten den Rest des Tages auf Wolke Neunzehn.
Veranstalter und Preisträger mit Urkunden. Das Foto kommt von Heinz Bück (3. von rechts), Danke dafür!
Spätestens an diesem Punkt wäre seiner Exzellenz klar geworden, dass ich mir den Journalistenpreis Irland tatsächlich verdient habe. Denn um den zu bekommen, muss man Gespür für das Land und natürlich Geschichten zu erzählen haben.
Ich erzählte die Geschichte von Pól und wie er sich durch seinen fast völligen Rückzug ins elementar einfache Leben eines Fischers und Sammlers selbst geheilt hat. Nach einem psychischen Zusammenbruch zog er auf ein unbewohntes Eiland vor Donegals rauer Küste und führte über Jahre ein Leben als quasi freiwillig Obdachloser (wenn man sein Zelt ignoriert). Im Laufe seiner Katharsis fand er erst Ruhe, dann neues Wissen und dann eine Mission: Für diese völlig vernachlässigte, selten besuchte Region zu trommeln und zu werben. Und eine Natur-bewusste, an Nachhaltigkeit orientierte Lebensweise wiederzufinden.
Pól in seinem Element: Pól ist möglicherweise der extrovertierteste schüchterne Mensch, den ich kenne. Als Lehrer und Entertainer ist er Spitzenklasse – man hört ihm gern zu. (Copyright: Frank Patalong)
Es war die vielleicht intensivste Reportage, die ich je geschrieben habe, auch als persönliches Erlebnis. Als wir die jetzt, eineinhalb Jahre, nachdem sie in SPIEGEL Wissen erschien, erneut bei SPIEGEL ONLINE veröffentlichten, lasen noch einmal über 150.000 Leute diesen ellenlangen Streifen, mit überwältigend positivem Echo: Wer hat da behauptet, lange Texte „funktionierten“ Online nicht?
Mir war es leider nicht gelungen, Pól direkt nach der Verleihung zu erreichen und ihn zu „warnen“. Er bekam es trotzdem innerhalb weniger Stunden mit: Die Zahl seiner Facebook-Freunde schoss noch einmal um ein-, zweihundert nach Oben. Heerscharen von Deutschen sprachen ihn auf sein Erimitenleben an und auf das, was er dabei gelernt hat.
Dabei hatte er das mittlerweile zumindest vorerst aufgegeben, nicht lang, nachdem der Artikel erschienen war. Er hatte das in der Reportage ja schon angedeutet: Er fühlte sich geheilt und glaubte, es auch im Berufsleben wieder schaffen zu können. Ein paar Wochen nach unserem Treffen wurde er erstmals nach Dublin eingeladen, um für eine weitere Runde bei der EU-Kommission vorzusprechen.
Und am Ende hat er es tatsächlich geschafft. Rund ein Jahr nach der Reportage zog er zurück nach Brüssel, er arbeitet nun wieder für die EU-Kommission. Ohne seine eigentlichen Ziele aus den Augen zu verlieren, versteht sich: Mittelfristig will er zurück in die Einsamkeit der Nordwestküste Irlands.
Dass es seine Geschichte war, die mir die Auszeichnung einbrachte, freut ihn, sagt er: „Happy days!“
Ich sagte, dass ich ihm nun aber wirklich ein Fisch-Grillen bei mir im Garten schulde. In Wahrheit, weiß ich, schulde ich ihm natürlich weit mehr als das. Go raibh maith agat, Pól.
Gestern bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass mein Selfie-Text vom Juni letzten Jahres Abituraufgabe Nummer Drei im niedersächsischen Deutsch-Abitur 2016 war (und offenbar eine ziemlich populäre Wahl).
Hüstel-hüstel: Es wäre geheuchelt, wenn ich behaupten würde, dass das meiner Wenigkeit nicht schmeichelte.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mich die meisten der Abiturienten offenbar für uralt und komplett ahnungslos halten. So irritierte der Titel „Egoshooter“ die meisten der Kids ganz erheblich, weil der ja irreführend und unpassend war und zu Verwechslungen mit den gleichnamigen Videospielen führen konnte. Aber darum ging es inhaltlich ja gar nicht!
Schwamm drüber, schnell hatten alle kapiert, dass es in Wahrheit um Selfies ging (und manche erkannten sogar, dass das was mit Egozentrik zu tun haben könnte). Aaaaaaber, „schwache Argumente“ hätte ich, schrieb ein Schüler in einem Diskussionsforum: „Ich meine, wen interessiert die Meinung seiner Frau?“
Genau, denke ich auch manchmal. Man lernt dann aber im Laufe seines Lebens, dass sich Relevanz im Gefüge zwischenmenschlicher Beziehungen anders definiert.
Ein anderer analysierte tiefergehend: „Vor allem scheint der Autor jemand aus der alten Generation zu sein, der selbst nie die tatsächliche Wirkung von Selfies erprobt hat (so blöd es auch klingt). Er sinniert da quasi über Dinge, über die er nicht fachkundig ist.“
Hallo? Ich könnte ihm jetzt Selfies zeigen, die ich 1978 – OHNE STANGE! – gemacht habe. Aber erstens sah ich mit den langen Haaren und der knallengen, weißen Schlaghose nach heutigen Maßstäben so dämlich aus, dass mich das vollends diskreditieren würde. Und zweitens müsste ich ihm erklären, dass sich mein Selfie von seinen Selfies tatsächlich massiv unterschied.
Trotzdem: Sowas liest man doch gern, wenn sich junge Leute so eingehend mit einem Text beschäftigen, von dem sie offenbar annehmen, er wäre strategisch geplant: „Mir ist aufgefallen, dass er bei Befürwortung Hypotaxen verwendet und bei Ablehnungen Parataxen„, erkennt Forennutzer und Frisch-Abiturient „mamapa“ scharfsinnig.
Echt jetzt? Da kann mal sehen. Man lernt nicht aus, auch über sich. „mamapa“ weiter: „Jedoch konnten die Hypotaxen seine Argumente auch nicht wirklich bestätigen, da die Argumente, wie ich finde, sehr schwach waren.“
Klar, davon gingen wir inzwischen ja schon aus.
Zur Rettung der eigenen Ehre: So einige sahen das auch anders. Unter dem Strich kam ich sogar ganz gut weg mit meiner Abiturtext-Vorlage. Könnte man vielleicht so zusammenfassen: Gemessen an meinem biblischen Alter bin ich gar nicht so doof, wie man erwarten müsste.
Das sah sogar „RoxasNova“ so, die sich redlich bemüht hatte, irgendwo in meinem Geschreibsel die bösartige Fußangel zu finden: „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich extrem paranoid bin, und versteckte Botschaften nicht identifizieren konnte… aber der Text war sehr angenehm.“
Danke dafür, Euch allen!
In Echt, ich so: Yo!
P.S.: Könnte mir vielleicht mal ein 17-jähriger „die tatsächliche Wirkung von Selfies“ (siehe oben) erklären? Steht die im Gegensatz zur Angeblichen? Und auf wen wirkt sie? Und wie und wozu?
Könnte es sein, dass ich wirklich was verpasst habe?
P.P.S.: In einer früheren Version dieses Textes hatte ich das hintere „i“ in „Abiturient“ vergessen. Der Lack ist halt ab in meinem Alter: Da übersieht man sowas. Abzug in der B-Note, mindestens.