Zum Schichtauftakt kurz die Nachrichtenlage gescannt. Darüber gestolpert, dass Familienministerin Schröder „das Gott“ als geschlechtsneutrale, politisch korrekte Alternative vorschlägt. Rheinländer wissen, wie perfide das in Wahrheit ist: „Das Gott“ ist natürlich feminin, so wie in „Wie geht’s denn dat Ursula?“ oder „Dat Ursel sacht für misch…“.
Schröder schlug damit also keineswegs eine „Versachlichung“ vor. Aber kann das Gott wirklich ein Weibchen sein?
Die einzig wahre Antwort lieferte da Christine Haderthauer von der bayrischen Atheisten-Partei CSU: Schröder versaue den Kindern mit diesem verkopften Quatsch „die starken Bilder, die für ihre Phantasie so wichtig sind“. So offen haben wir das aus CSU-Kreisen noch nie gehört: Das Gott ist also das Produkt stark phantasieanregender Bilder und kindlicher Vorstellungskraft.
Mit den Büchern von Richard Dawkins ist das so eine Sache. Seine frühen, rein wissenschaftlich verorteten Titel enthielten echten Erkenntnisfortschritt. Sie waren zugleich nicht nur lesbar, sondern auch spannend und bestens erzählt. Vor allem Das egoistische Gen ist hier nach wie vor Pflicht – eine echte Einstiegsdroge in die Evolutionsbiologie.
Mit dem kämpferischen Atheisten Dawkins haben dagegen sogar viele Atheisten so ihre Probleme. Erlebt man ihn live und in Person, dann kommt er intelligent, scharfzüngig und witzig rüber. In gedruckter Form wirkt das alles oft grimmig und rechthaberisch. Warum immer so viel Schaum vor dem Mund, möchte man ihn mitunter fragen. Vor allem in seinem Bestseller Der Gotteswahn ist das spürbar (allerdings vor allem in der deutschen Übersetzung, die deutlich weniger Witz hat als das Original).
Als Markus Becker und ich vor rund einem Jahr Gelegenheit hatten, ihn an einem verschwiegenen Örtchen zu treffen und ausgiebig zu befragen, lernten wir jemanden kennen, der zu gleichen Teilen Wissenschaftler und Missionar in gottloser Mission zu sein schien. Ich fragte ihn damals, ob er keine Angst habe, dass das öffentliche Image des mitunter sehr bissigen Atheisten Dawkins irgendwann die Erinnerung an seine wissenschaftlichen Meriten überdecken könnte. Ich glaube, das war die einzige Frage, die ihn kurz geschockt hat. In der Schriftform des Interview klang das so:
„Mr. Dawkins, wenn Sie 60 Jahre nach vorn denken, an wen sollten sich die Menschen erinnern: An den Wissenschaftler, der mit dem Konzept des „egoistischen Gens“ zur Evolutionslehre beigetragen hat, oder an den vehementen Religionskritiker?“
Er zögerte kurz und antwortete dann: „Am liebsten an beide, ich sehe sie nicht getrennt voneinander. Aber es täte mir sehr leid, wenn mein Angriff auf die Religion das überschatten würde, was ich zur Wissenschaft beigetragen habe. Das wäre wirklich sehr bedauerlich. Aber ich sehe keinen Gegensatz zwischen diesen beiden Dingen, sie gehören zusammen.“
The Magic of Reality ist ein äußerst oppulentes, auf jeder einzelnen Seite wundervoll illustriertes Buch. Und es ist eines, in der natürlich – siehe oben – Wissenschaft und Religionskritik wieder einmal zusammen kommen. Doch diesmal passiert das in lockerer, entspannter, gänzlich ungrimmiger Form.
Es macht das eindeutig für Heranwachsende geschriebene Buch zu einer Lektüre, die auch für Erwachsene höchst lohnend ist, die mit Wissenschaft wenig am Hut haben. Dawkins erzählt darin von Mythen und Erkenntnissen, er plaudert und witzelt. Religionskritik ergibt sich daraus nur insofern, als dass er archaische Mythen meist religiösen Ursprungs mit unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen kontrastiert. Er lässt den Mythen dabei ihren Charme, ihren kulturellen Wert, macht aber stets klar, dass sie zur Erklärung der Welt eben nicht ausreichen.
Er geht dabei sogar nahezu überraschend sanft mit ihnen um. Die biblische Schöpfungsgeschichte stellt er in einen amüsanten Reigen mit anderen Schöpfungsmythen, ohne darauf einzuhacken: Ich hätte der Versuchung da nicht widerstehen können zu zeigen, dass auch diese biblischen Mythen nichts anderes sind als zusammengeklaute ältere Mythen anderer Stämme und Völkchen, die irgendwer in ausgehend neolithischer Zeit am Lagerfeuer zusammengerührt hat. Doch diesmal fährt Dawkins eben keinen „Angriff auf die Religion“, wie er das selbst nennt: The Magic of Reality ist in allererster Linie ein Buch, das die Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis über unser Herkunft und unseren Platz im Universum an Menschen vermitteln will, die davon bisher kein Bild haben. Fast spielerisch leicht vermittelt er da sein Wissen über Evolutionsbiologie, Geologie, Genetik und andere Felder, die normalerwiese unter „Harte Nuss!“-Verdacht stehen. Das ist schlichtweg brillant gemacht.
Natürlich wirbt Dawkins dabei weiter für die Sache der modernen Aufklärung. „How we know what’s really true“ heißt der passende Untertitel des Buches im Original, der deutsche Titel kommt wie gewohnt gespreizter und langweiliger daher: „Der Zauber der Wirklichkeit: Die faszinierende Wahrheit hinter den Rätseln der Natur“ (erst ab November 2012). Unter dem Strich ist das trotzdem dasselbe. Dawkins schreibt hier mal wieder über etwas, statt gegen etwas anzuschreiben. Gut so, denn Ignoranz heilt man am besten mit Wissen, statt mit Vorwürfen.
Mein Fazit: Ein Jugendbuch, das ich ab 13 gern in die Hand bekommen und gelesen hätte. Und eines, für das man sich auch als Erwachsener nicht schämen muss. Selbst der, der vieles weiß, was Dawkins hier schildert, lernt dabei noch was: Zum Beispiel, wie man es so erklärt, dass auch Einsteiger es verstehen.