Das neue Normal: Leben neben Corona

Fundstück: Kinderzeichnung auf einer Straße in Siegburg

Wir wir alle rede ich seit Tagen über kaum etwas anderes als Corona. Ich bin ziemlich gut up to date, wir Journalisten bekommen noch mehr mit als die News-Leser, die ja letztlich das von uns aufbereitete „Filtrat“ serviert bekommen.

„Ich kann es nicht mehr hören“, sagt mir am Telefon meine in selbstgewählter Quarantäne sitzende Mutter – und redet auch mit mir über nichts anderes mehr. Und dass sie auch mit ihren Freunden am Telefon vor allem über Corona redet, und dass einen das echt noch weiter herunterzieht.

So ist das. Wir alle hängen an diesem nicht enden wollenden Newsstrom und haben offensichtlich das Bedürfnis, den auch miteinander zu verarbeiten. Auf Dauer wird uns auch das krank machen, wenn wir es nicht dosieren. Es gibt auch noch Themen jenseits von Corona, das müssen wir uns klarmachen.

Ich meine damit nicht, dass man irgendetwas verdrängen sollte. Aber Corona ist jetzt und für wahrscheinlich etliche Monate unser neues Normal. Es sollte unser Leben bestimmen, wir sollten das nie vergessen, uns an die Schutzempfehlungen halten etc.. Aber das heißt nicht, dass wir alle auch nonstop darüber reden müssen. Ich fürchte, sonst lähmt es uns irgendwann.

Meiner Mutter sagte ich:

– Schau Dir Morgens und Abends an, was es Neues gibt über Corona. Das reicht, dann bist Du im Bilde. Du musst die Katastrophe nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit verfolgen, es ändert nichts. Lass Dich nicht runterziehen. Du tust ja alles mögliche, um Dich zu schützen.

– Telefoniere viel mit Freunden, und dann redet über alles außer Corona. Zwei, drei Sätze zu Beginn reichen doch: Und dann frag, was es sonst gibt, wie es Freunden geht, wie sie ihre Zeit gestalten. Tauscht Tipps aus, was man sehen, was man hören kann. Tauscht praktische Tipps aus, wie man den Alltag in Isolation gut gestaltet und übersteht.  DAS sind Themen, über die man nun reden sollte: Wie machen wir das Beste aus der Situation? Und: ich bin bei dir, auch wenn wir uns nicht sehen können.

Die ganze Welt ist eine kognitive Dissonanz

Facebook wird zum virtuellen Herdfeuer, an dem sich die versammeln, die sich nah fühlen, aber es nicht sein können. Kurz vor Mitternacht hatte mein Freund Gerrit eine Nachricht veröffentlicht, die  viele erschreckte.

Er schrieb:

 

Es folgte eine rührende Welle der Solidarität. Gerrit ist Risikogruppe, wir wissen das alle. Am Mittwochmorgen meldete er sich noch einmal: „Danke meine Lieben, das tut uns gut. In der Leitstelle in München gehen pro Tag 4.000 Anrufe ein, alles ist völlig überlastet und sich zu testen lassen fast unmöglich. Wir schaffen es jetzt über persönliche Kontakte zu Ärzten auf einem Parkplatz. Wenn man bedenkt, dass das erst der Anfang ist, fühlt es sich sehr beklemmend an.“

Ganz plötzlich wird Corona persönlich. Im Radio sagt eine Siebenjährige: „Ne, Angst hab‘ ich nicht, ich bin ja immun. Ich kann das gar nicht kriegen.“ Die Sonne scheint an diesem Mittwoch, 18 Grad, die Straße ist voller immuner, spielender Kinder. Ich erschrecke über mich selbst: spielende Kinder, spüre ich, sind jetzt bedrohlich.

Noch ein Blick auf Facebook. Ein örtliches Tatoo- und Piercingstudio jubelt: „Das Ordnungsamt der Stadt Siegburg war eben vor Ort und hat uns mitgeteilt, dass wir regulär geöffnet haben dürfen, da wir unter hohen Hygiene-Standards Arbeiten!“

Super. Die ganze Welt ist eine kognitive Dissonanz.