Das hier habe ich gerade zufällig bei Buch.de gefunden:
Nicht, dass ich mich nicht geschmeichelt fühlen würde. Ich mag den Blaubär (ein Held meiner Kinder, als sie klein waren), auch, wenn ich die Augsburger Puppenkiste vorgezogen hätte (MEIN Kinderprogramm, als ich klein war). Gut möglich, dass sich die Kombi mit dem Blaubär sogar verkaufsfördernd für mein Buch auswirkt. Der ist immerhin ziemlich prominent, und dann auch noch von Walter Moers!
Ich frage mich nur, WARUM man einen Viktorianischen Vibrator bei Buch.de angeblich am liebsten mit einer Blaubär-DVD kombiniert.
Es gibt einen feinen Unterschied zwischen Geschichten und Geschichte. Doch das, zeigen in diesem Herbst zwei Autoren mit höchst unterhaltsamen Büchern, muss gar nicht so sein: Sie porträtieren Zeiten aus ihrer Alltagskultur heraus – und kommen ihrem Wesen und Lebensgefühl verblüffend nahe.
Telefonbuch-dicke Schmöker über das frühe 20. Jahrhundert sind selbst für begeisterte Leser vielleicht nicht unbedingt die erste Wahl für einen gemütlichen Leseabend. Wer deshalb Philipp Bloms „Die zerrissenen Jahre“ oder Bill Brysons „Sommer 1927“ meidet, verpasst allerdings etwas.
1. Bryson
Der Amerikaner Bill Bryson wurde als launiger Reiseautor bekannt. In „Sommer 1927“ geht er auf Zeitreise, wenn man so will, denn so liest sich das: Sein Zeitporträt malt Bryson, indem er mit uns Zeitung liest, zu Demonstrationen und Paraden geht, auf Partys, zu Flugzeugstarts und Baseballspielen.
Das alles ist ein fröhliches Rezipieren und Reportieren, es lebt von Anekdoten und Seitenblicken, vor allem von der Perspektive der „Straße“: Bryson schaut zwar auf die Großen der Zeit, interpretiert das aber letztlich kulturhistorisch. Da sind begnadete Musiker mitunter wichtiger als unfähige Präsidenten. Die Geschichte obskurer Finanz-Strippenzieher erklärt uns, was die Welt in die Wirtschaftskrise führte. Die Geschichte des Baseball-Stars Babe Ruth aber lässt uns nachfühlen, wie Pop in die Welt kam.
Denn Bryson porträtiert einen „amerikanischen Sommer“, der den Aufstieg der USA zur auch die Alltagskultur prägenden Kulturmacht einleitete. Wir erlesen und erleben die Geburt der Massenmedienwelt, in der nicht mehr nur das wichtig ist, was Wenige hinter geschlossenen Türen entscheiden, sondern auch das, was die Vielen sehen, fühlen und meinen: Wenn etwa Ruth Snyder und Judd Gray, die als Ehebrecher Snyders Ehemann ins Jenseits beförderten, zum Gericht gekarrt wurden, säumten Zehntausende die Straßen, um diese „Monster“ zu sehen.
Für das „amtliche“ Amerika waren Leute wie Al Capone die größten Verbrecher der Prohibitionszeit. Für die Betroffenen sah das laut Bryson möglicherweise anders aus: Ihre Wut galt auch Tätern in Behörden und Ministerien, die es öffentlich rechtfertigten, wenn Menschen an gezielt vergifteten Schnaps starben. Nichts aber prägte das Jahr 1927 so sehr wie Charles Lindbergh, in dessen Person und Atlantiküberquerung Amerikas Hoffnungen und Selbstverständnis kumulierten.
Das ist ein ganz schön schräger Blick auf Geschichte, aber auch ein sehr lebendiger. Aber kann so etwas auch korrekt sein?
2. Blom
Geschichtsschreibung war über Jahrhunderte von Datenhuberei geprägt – „3-3-3, bei Issos Keilerei“. Sie reduzierte sich auf Daten, auf berühmte oder berüchtigte, vor allem aber mächtige Personen und deren Entscheidungen. Aber waren das die relevanten Dinge, die eine Zeit prägten?
Der Blick aufs eigene Leben widerspricht dem. Was Frau Merkel entscheidet oder mit wem Mr. Obama morgen redet, ist meistens völlig irrelevant für das eigene Leben: Was also macht eine Zeit aus?
Auch der Historiker Philipp Blom ist auf der Suche nach der richtigen Antwort auf diese Frage. Auch sein Buch „Die zerrissenen Jahre“ versucht, das Wesen der geschilderten Zeit aus deren Lebensgefühl heraus zugänglich zu machen. Die Methode könnte man als konsequenten Blick schräg daneben beschreiben: So macht er die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs anhand der Geschichte der Kriegstraumata der Versehrten und Überlebenden greifbar. Der Vertrag von Versailles dagegen ist ihm nur Nebensätze wert. Gegen dem Leiden der Betroffenen und dem, was das noch verursachen wird, ist die vermeintlich hohe Politik nur eine Marginalie.
Wichtiger sind die Erschütterungen, die in den geschilderten zwanzig Jahren zwischen den Kriegen ganze Gesellschaften verändern und tradierte Kulturen in Frage stellen. Anders als Bryson hat Blom dabei keinen auf eine einzelne Nation fokussierten Blick. Jedem geschilderten Jahr ordnet er ein Schwerpunktthema zu, schildert anekdotenreich und unterhaltsam, aber stets durch Quellen belegt, wie diese Themen diese Zeiten prägten.
Mal ist das der Jazz, der erst Amerika, England und Frankreich und schließlich sogar Deutschland entkrampft und lebenshungrige Subkulturen schafft. Mal sind es wissenschaftliche Entdeckungen, die Werte in Frage stellen, mal die paramilitärischen Abenteuer durchgeknallter Poeten, die der Unkultur des Faschismus Legenden liefern.
Blom liefert dabei in höchst unterhaltsam erzählerischer Form Antworten auf Fragen, die auch zum Verständnis des Heute beitragen: Er erklärt ganz nebenbei die Motivation von Künstlern und Architekten, die Grundströmungen und Ereignisse, die die Moderne prägten. Denn Blom trennt nicht zwischen Kultur und Geschichte, er fixiert sich auch nicht auf Nationen oder Regionen. Sein Blick schweift rund um den Globus und sucht die Phänomene, die der Zeit ihre Prägung gaben. Das ist ein in gewisser Hinsicht viel vollständigerer Blick auf Geschichte, auch wenn er große Lücken lässt.
Und es ist auch keine „Geschichte von unten“, wie man das in den Siebzigern verstand, auch wenn es mitunter daran erinnert. Bryson wie Blom versuchen, Zeiten dadurch greifbar zu machen, dass sie sie im Sinne des Wortes portraitieren.
Bloms Blick ist fokussierter, stärker an Relevanz orientiert, Brysons Perspektive ist zu amerikanisch, als dass man sich das als Europäer wirklich völlig zu eigen machen könnte. Unterhaltsam aber sind beide Bücher: Frische Perspektiven mit intensiven Einsichten, die eine noch gar nicht so lang vergangene Zeit noch einmal fühlbar machen. Vor allem Bloms Buch ist für mich das Beste, was ich seit „Der taumelnde Kontinent“ in Sachen Historie zu lesen bekommen habe.
Nahtod-Bücher kommen immer in Wellen, auch in Deutschland. Bestseller treten Trends los. Der US-Trend, den ich in dem heute Morgen bei SPIEGEL ONLINE erschienenen Artikel beschreibe, hält seit Ende 2010 an. In dieser Zeit sind in den USA mehrere Dutzend stark religiös geprägte Bücher erschienen, die sich äußerst gut verkauften. Zwei davon gehören zu den verkaufsstärksten Bestsellern der letzten Jahre – das aktuellste erschien am Montag auch in deutscher Sprache.
Ich hatte es vorab bekommen und gelesen. „Der Beweis für den Himmel: Die Reise eines Neurochirurgen ins Leben nach dem Tod“ ist ein bierernst gemeintes Stück Missionierungs-Literatur. Ein vom Feuereifer eines frisch religiös Erweckten getragener Lobgesang.
Irritierend finde ich, mit was für einem naiv-glühenden Glaubenseifer diese Dinger daherkommen. Das hat mit einer „Auseinandersetzung“ mit dem Thema aber auch gar nichts zu tun: Es ist pure Missionierung aus evangelikaler Ecke. Und Nahtod ist ein Thema, das immer für Aufmerksamkeit gut ist.
Kritik bekommt der aktuelle Buch-Star Eben Alexander in den Staaten darum sowohl aus wissenschaftlicher Ecke, als auch seitens der offiziellen Kirchen. Begeisterungsstürme erntet er dagegen auf Lesereise durch Amerikas fundamentalchristliche Gemeinden. Das ist unheimlich, finde ich: das sind Leute, die am liebsten die Aufklärung zurücknehmen würden. Bisher war man hierzulande ziemlich resistent gegen diese Form des Christentums.
Anders in den USA. Eben Alexanders bisherige Buch-Bilanz: Elf Wochen auf dem ersten, sieben Wochen auf dem zweiten und eine Woche auf dem dritten Platz der New-York-Times-Bestsellerliste (Stand 7. März, Sachbuch). In Deutschland stieg das Buch am Erstverkaufstag bei Amazon auf Platz 421 ein, fällt seitdem aber, weil Amazon nicht genügend Bücher vorgeordert hatte: Das ist oft so, weil der Buchversender da erst auf das Beststellverhalten seiner Kunden reagiert. Wie sich der Esoterik-Schinken hierzulande verkauft, wird man deshalb erst in ein, zwei Wochen abschätzen können, wenn der Verkauf ernsthaft anläuft.
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Stefan Laurin von den Ruhrbaronen hat heute ein Interview zum Viktorianischen Vibrator veröffentlicht, das er vor ein paar Tagen mit mir geführt hat. Es war ein langes Gespräch, das er fein kondensiert hat. Es macht klar, in welchem Kontext das Buch steht und was man davon erwarten darf (und was nicht!).
Der Vibrator ist natürlich in allererster Linie ein Buch, das Leute anspricht, die ein Grundinteresse an Technik haben und diese zudem auch als Kulturgut begreifen können. Damit ist aber auch klar, dass sich daran auch die Geister scheiden können, wie ein Blick auf die ersten Kunden-Rezensionen bei Amazon zeigt. Ein „IngridNollFan“ findet das Buch dort „Ganz nett, aber nicht umwerfend“, weil er oder sie sich “ mehr Schmunzelmomente erhofft“ hat. Das finde ich natürlich schade, kann es aber auch verstehen, es ist ein Fall enttäuschter Erwartung: Der Vibrator ist kein Gag-Buch, sondern ein Sachbuch mit humoriger bis makabrer Perspektive. Der von mir hoch geschätzte Werner Popp hat mir ebenfalls bei Amazon zum Ausgleich einen „großen Wurf“ bescheinigt – Danke dafür!
Bei Radio Köln war der Vibrator vor ein paar Tagen Buchtipp des Tages. Die Radio-Rezension zeigt, wie man das Buch auch angehen kann: Selektiv und blätternd. Die Radiokollegen haben vor allem die vielen Annekdoten und kleinen Skurrilitäten wahrgenommen. Auch das ist okay und war ja auch so gedacht: man kann das Ding auch von hinten nach vorn und kreuz und quer lesen.
Wie viele Menschen das Buch nun überhaupt lesen, ist vorerst nicht zu erfahren. Nach drei Wochen im Handel sind wohl einige Tausend verkauft, aber Zahlen wird es erst in etlichen Wochen geben. Aus der Autorenperspektive ist das echt seltsam – vor allem, wenn man wie ich über viele Jahre daran gewöhnt ist, seine Leserzahlen quasi in Echtzeit zu erfahren. „Shades of Grey“ wird mein Schmöker in den nächsten zwei Wochen wohl nicht überholen, auch wenn man für meinen Vibrator deutlich weniger Sadomaso-Neigung mitbringen muss. Macht nichts, aber natürlich will man auch Leserschaft erreichen, wenn man so viel Arbeit in so ein Projekt gesteckt hat. Selbst wenn man direkt nichts davon hat, gibt es keinen Autor, der nicht gelesen werden will. Wer sagt, Verkauf sei ihm egal, lügt.