Meine Frau ist mit Fußball aufgewachsen – genauer mit Fußball-bekloppten Brüdern. Sie sagt, sie habe sich deshalb einen Mann gesucht, der mit Fußball nichts am Kopf hatte: mich.
Dumm gelaufen, denn irgendwann kam Sohnemann. Der begann seine Laufbahn Prä-Bambini, und er ist heute immer noch dabei. Ein Lahm der Kreisklasse, ein Guter ist er. Ich habe durch ihn zum Fußball gefunden. Trotz Erfahrungen, die das lange verhindert haben.
Wenn ich an meine Jugendtage zurückdenke und an die damalige Szene, wird mir heute noch übel. Ich war Anfang der Achtziger mal im Stadion Wedau, als der MSV auf Schalke traf. Weil beide Fanblöcke blau-weiß waren, bekam man die nicht getrennt. Als ein paar Vollbescheuerte ihre Schlägerei begannen, löste die Polizei das Problem, indem sie auf Pferden in die Menge ritt und mit dem Schlagstock hineinschlug. Und zwar auf alle: Frei nach dem Motto „Immer drauf, trifft immer den Richtigen“. Ich mag Pferde, aber nicht aus der Perspektive. Für mich folgte auf den Tag eine lange Stadionpause. Die Achtziger waren die Zeit der enthirnten Hools, die Fußballszene schien von Vollidoten dominiert.
Im letzten Drittel der Neunziger ging es mit Sohnemann erstmals ins Stadion: die Zeiten hatten sich geändert. Die Stimmung hatte Volksfest-Charakter, die viel zu seltenen Stadionbesuche waren aufregende kleine Feiern. Es wurde immer besser: Choreographien kamen, unermüdlich singende Fanblocks, eine Fankultur mit Ritualen und Tiefen und einem die Kultur des eigenen Clubs pflegenden „So sind wir“-Bewusstsein. Zeitschriften wie „11 Freunde“ (lese ich seit Jahrgang 1 jeden Monat) unterfütterten das alles mit dem Bewusstsein, dass es hier auch um Lebenshaltungen und Verwurzelungen geht, nicht nur um Profisport und Popkultur.
Die WM 2006 erlebten wir als rauschendes, Missgunstfreies Fußballfest, als landesweite Party.
Und jetzt schau man sich an, was in den letzten eineinhalb Jahren passiert ist: Die Vollidioten sind zurück. Köln, deren Fans über Jahre zu den sangesfreudigsten, witzigsten Anhängern überhaupt gehörten, die auch noch den grottigsten Kick im Stadion zu einer kleinen Karnevalsfeier machen konnten, haben in der letzten Saison gegnerische Fans mit Kot-gefüllten Pappbechern beworfen, keine Randale ausgelassen, bis hin zu Überfällen auf Fanbusse anderer Mannschaften. Vollidioten.
Wenn Mannschaften absteigen, muss man wieder mit Bürgerkriegsähnlichen Szenen rechnen. Am Dienstagabend schaffte es die Düsseldorfer Idiotenhorde fast, den Aufstieg ihrer Mannschaft noch im Stadion zu verhindern, indem sie das Spiel unterbrach. Die Sache wird wohl ein gerichtliches Nachspiel haben, noch ist nichts ausgemacht oder ausgestanden.
Und zurecht: Ein Bekloppter klaute vor laufender Kamera den Elfmeterpunkt. Die letzten 60 Sekunden spielten die Mannschaften nach massivem Polizeieinsatz und 20 Minuten Zwangsunterbrechung auf einem Acker, aus dem die ach so treuen Fans mit bloßen Händen Grasoden gebrochen hatten. Auf den Rängen brannten vorher schon „Fans“ von „Hertie“ Berlin Bengalos ab und warfen mit Feuerwerkskörpern. Der Versuch, so was als kleine, harmlose Lichtlein-Festspiele niedlich zu reden, hat sich spätestens nach den Bengalo- und Rauchbomben-Festivals der letzten Wochen erledigt. Von mir aus können beide Mannschaften in der zweiten Liga versauern und stattdessen der Viertplatzierte aufsteigen: St Pauli ist ein Club, dessen Fans zumindest Erstligareif sind.
Ernsthaft: Über die letzten 15 Jahre ist mein Spaß am Fußball nur gewachsen. Mir fällt nichts ein, was Menschen völlig unterschiedlichen Hintergrunds besser, spaßiger und spannender zusammenbringt und gemeinsame Erlebnisse ermöglicht, als Fußball.
Was aber in den letzten Monaten abgeht, ist Deja vu, ist wie die Rückkehr der Achtziger-Idiotenszene. Wenn das so weiter geht, ist der Spaß bald vorbei. Das alles sind keine Einzelfälle mehr, das ist ein Scheißtrend. Wer jetzt noch für Bengalos und „feurige“ Fankultur argumentiert, muss sich fragen lassen, ob er sie noch alle beieinander hat.