Intelligente Werbung. Ein Drama in unendlich vielen Akten.

1. Akt

Ort: Schreibtisch, 15. 6. 2020, 14:23 Uhr.

Kunde: „Och, der Helm ist ja chic. Den kauf ich!“ (klickendes Geräusch)

Intelligenter Marketing-Algorithmus: „Hey, der mag Helme, will Helme, braucht Helme! Ich zeig ihm Helme, Helme, Helme! Wo auch immer er ist, wo auch immer er hingeht: Helm, Helm, Helm!  Und noch ein Helm! Und noch einer! Kann man nie genug von haben! Helm!“

2. Akt

Ort: Schreibtisch, 17.12.2020, 15.32 Uhr.

Kunde: „Och, der Cocktail-Mixer da neben der Helm-Werbung ist ja cool. Ich brauch noch ein last-minute-Geschenk. Ich glaub, das Ding kauf ich!“ (klickendes Geräusch)

Intelligenter Marketing-Algorithmus: „Hey, der mag Mixer, will Mixer, braucht Mixer! Ich zeig ihm Mixer, Mixer, Mixer! Wo auch immer er ist, wo auch immer er hingeht: Mixer, Mixer, Mixer!  Und noch ein Mixer! Und noch einer! Kann man nie genug von haben! Mixer! Mixermixermixermixermixer!“

3. Akt

…ich glaube, ist klar, oder?

 

 

 

Terra Mater: Manchmal muss man loben

Der gestern bei SPON veröffentlichte Artikel zu Red Bulls Medienunternehmungen lag einige Zeit in der Schublade. Herausgeholt wurde er, weil die ARD gestern abend mal wieder die Vorwürfe gegen das Sport-Sponsoring von Red Bull in vertiefter Form zusammenfasste – Bull-Bashing wäre da naheliegend gewesen.

Auch mein Artikel blieb nicht ganz frei davon, aber letztlich ist mir das zu billig. Wer beknackt genug ist, sich mit einem Wingsuit einen Berg hinab zu stürzen, weiß, dass das letztlich suizidal ist. Ich finde auch nicht, dass man so etwas mit Sponsorengeldern finanzieren sollte, das verdient Kritik. Bei den Todes- und Verletzungquoten in diesem  sogenannten Sport sollte man aber eher ein Verbot erwägen. Und sei es nur mit Rücksicht auf die armen Hunde von Rettungskräften, die nachher die Reste der allzu Wagemutigen von den Felsen kratzen dürfen.

Aber all das ändert nichts daran, dass Red Bull mit seinem Medienhaus erstklassige Inhalte produziert. Und die sind in Sachen Anspruch, Textqualitäten, Layouts etc. oft merklich oberhalb von dem positioniert, was da so direkt konkurriert. Ich finde es einfach gut, dass ein Verlag mit einer klar an Qualitäten orientierten Strategie Erfolg hat. Mit ausführlichen, lesbaren Texten statt Häppchen. So wenig vorbildlich das Sponsoring von Extremsportarten sein mag, so vorbildlich ist das.

Wie kommt es zu so einem Artikel? Ich hatte letztes Jahr auf einem Flughafen zufällig die Erstausgabe von „Terra Mater“ in die Hand bekommen. Das gediegene Layout, das große Format hat mich neugierig gemacht: Ich kaufte die DVD-Ausgabe für 9,90 Euro. Und war hin und weg. Monate später sah ich die „Zeitreise“-Ausgabe (Bild oben: Titelgeschichte über 100 Jahre alte russische Farbfotos) im Bahnhofskiosk von Dinslaken liegen und nahm sie mit. Ein paar Wochen darauf kontaktierte ich den Verlag: Ich wollte wissen, wer das macht – und was sie sonst so tun.

Natürlich haben die sich darüber gefreut. Wenn man für einen Verlag arbeitet, der eine Getränkemarke im Namen trägt, ist man wohl automatisch im Werbeblättchen- und Kundenzeitschrifts-Verdacht. Das machen die natürlich auch, aber die meisten Titel sind Projekte, die sich ernsthaft konkurrierend ihren jeweiligen Marktnischen stellen. Das Boulevardblättchen „Seitenblicke“ ist nicht meins, wirkt auf mich aber tatsächlich ein Stückchen weniger blöd als viele andere Promi-Gazetten, die mir versehntlich mal in die Hände fielen. „Servus in Stadt und Land“ klingt als Titel für großstädtisch geprägte nordwestdeutsche Ohren abschreckend bräsig, ist inhaltlich und gestalterisch aber anspruchsvoll und unterhaltsam: Das Ding macht schon was her, das ist kein Trash, sondern respektabel.

Und „Terra Mater“? Ist ein Fest. Ein Schmökerstück, dem die Penetranz des unermüdlich geschwungenen Mahnefingers fehlt, der einem den Spaß an „Geo“ so oft verleiden kann. Meine Sammlung ist inzwischen bis hierhin komplett. Wenn das Heft nicht nachläßt, wird das so bleiben. Für mich ist dieses Red-Bull-Heft die interessanteste Magazin-Neugründung seit Jahren.